Sozialminister Lucha besucht Pflege-WG am alten Güterbahnhof
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Sozialminister Manfred Lucha auf Sommertour – warum er ausgerechnet in eine ambulant betreute WG für Ältere nach Tübingen kommt, wurde in seinen Ausführungen rasch klar: Die Pflege-WG in Kiebingen war eine der ganz frühen, und setzte den Trend, der “Manne” Lucha ein Herzensanliegen ist.
Seit 10 Jahren wird der Rahmen für quartiersorientierte kleinteilige Wohnpflege-WG´s im Land dann auch durch ein Gesetz definiert: das WTPG (Wohn-, Pflege- und Teilhabegesetz). Die Stadt Tübingen wurde mit ihrer Konzeption Seniorenleben und Pflege damit zur Vorreiterin – mit einer ganz klaren Quartiers-Strategie in der Fläche, ob Stadt oder Teilorte: umfassende Pflege soll ganz nah dezentral dort verfügbar sein, wo die Menschen wohnen und ihre Angehörigen haben. Fünf solche Pflege-WGs sind in Tübingen bereits realisiert.
Foto: Die städtische Beauftragte für Seniorinnen und Senioren, Cordula Körner, erläutert Lucha (im Bild links) die Strategie und ihre immer größeren Herausforderungen. Ganz rechts im Bild: Die neue Sozialbürgermeisterin Gundula Schäfer-Vogel, inmitten von Angehörigen
Die WG am Güterbahnhof als Vorbild bürgerschaftlichen Engagements
Aber Lucha wollte in Tübingen speziell in die Pflege-WG im Güterbahnhofareal: Eine 8er-Gemeinschaft. Die selbstverantwortete Variante, nicht die trägergestützte. Und eine, die protoypisch zeigt, wie Caring Community und Gemeinwohlorientierung geht. Schließlich eine, die schon aus mehrjähriger Erfahrung berichten kann. Mehrfach hob Lucha das große Engagement der Angehörigen und den Mut des Tübinger Vereins “Mitten im Leben” hervor. Zwei von deren Engagierten und zugleich Angehörigen, Helmut Pass und Hanna Zimmermann (im Bild unten rechts), zeigten auf, wie positiv sie diese Pflegeform finden. Aber auch, dass es angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen immer herausfordernder wird – für viele Angehörige wird es zur Überforderung. Deshalb hatten sie einen Forderungskatalog vorbereitet. Es brauche mehr Beratung, Vernetzung, Unterstützung. Und es brauche z.B. Notfall-Töpfe, für unbürokratische Hilfen – wenn etwa Bewohner sterben und Plätze nicht nachbesetzt werden können. Dringend überfällige Hilfen, damit diese hybride Struktur mit dem großen familialen und ehrenamtlichen Engagement nicht vor Last zusammenbricht.
Engagementbereitschaft ist da. Aber sie braucht politische Unterstützung
Das "vielen Dank für die Aufmerksamkeit" ist ernst gemeint. Denn sie erlebten einen Minister, der sehr genau zuhörte. Und der im Gespräch mit ihnen, mit der Bürgermeisterin, mit den weiteren Angehörigen und der nestbau AG zeigte, dass er sehr genau verstand, was hier auch von der Politik erwartet wird.
Und sie erlebten einen Minister, der die durch den neuen Mit-Vorstand Prof. Ulrich Otto vertretene nestbau AG mehrfach besonders hervorhob: Gunnar Laufer-Stark hat die nestbau schon ganz früh zu einem Motor für die quartiers- und bürger:innen-orientierte Verankerung von “Wohnpflegeformen mittendrin” gemacht. Das passe perfekt zum typisch Tübinger Ansatz der ganzheitlichen Stadtenwicklung, so Lucha. Und zu den aktuellen Debatten um Caring Communities. Denn Lucha kennt die nestbau AG: Sie hatte für die Pflege-WG damals 100.000€ Zuschuss erhalten. Und er weiß, dass sie auch die Pflege-WG in Hirschau, in einem Haus für Geflüchtete, als Investorin erst ermöglicht hat (zusammen mit dem ehrenamtlichen damaligen Projektentwickler der Pflege-WG: Ulrich Otto, damals noch Angehörigen- und Gesundheitsforscher in Zürich). Auch in Hirschau natürlich ohne Rendite-Aufschlag, sondern gemeinwohlorientiert. Und auch dort als Ergebnis eines Wettbewerbs um die besten Konzepte im Rahmen einer Konzeptvergabe.
Weitere Pflege-WG in Unterjesingen geplant - nestbau AG erneut als Motor
Foto: Nestbau-Vorstand Ulrich Otto im Gespräch mit dem Minister
Dass nestbau-Vorstand und Alternsforscher Ulrich Otto ganz aktuell mit der und für die “Unterjesingen. Gut. Leben. In jedem Alter eG” einen Zuschuss über 280.000 € beim Bundes-Familienministerium eingeworben hat – und damit möglicherweise die lange Wackelpartie, wann es endlich losgehen kann, beendet wird –, freute den Minster besonders. Denn das geplante Unterjesingen-Projekt hatte Lucha 2023 ebenfalls besucht, er hält es für ein Leuchtturmprojekt. Es soll eine neue veritable Ortsmitte entstehen: mit Wohnen und Stadtteiltreff und Pflege-WG und Mitarbeitenden-Wohnen. Erneut kann auch dies als ein Tübinger Ansatz gesehen werden - hier aber auf die Teilorte adaptiert.
Die nestbau AG hatte dort einen Projektsteuerungsauftrag bis zur seit einem Jahr vorliegenden Baugenehmigung – momentan aber schiebt sie ohne Honorar an. Weil das Projekt so wichtig ist. Und die nestbau AG durch und durch gemeinwohlorientiert ist. Und sie so viel Erfahrung und Kompetenz in Wohnpflegeformen und Bezahlbar-Wohnen hat und die Themen für absolute Zukunftsthemen hält. Alle sind herzlich willkommen, die das Projekt beispielsweise als Genossenschafter:in unterstützen wollen.
Was bleibt nach dem Minister-Besuch?
Dem Minister tatsächlich eine ganze Reihe von Erfahrungen ganz dicht dran an über fünf Jahren Praxis. Pflege-WGs sind einer der besten Ansätze in der Altersversorgung - mit ihrer Quartiersnähe, ihrem Normalisierungsansatz: mitten im Leben eben! Aber sie sind nicht per se schon die Lösung - dazu werden sie von den Rahmenbedingungen viel zu sehr alleingelassen.
Und für die Teilnehmenden bleibt natürlich ein ambivalentes Ergebnis: einerseits ist es für sie ernüchternd, dass von den Forderungen zeitnah höchstens ein Bruchteil umgesetzt werden wird. Andererseits deutliche Hoffnung, als Lucha klar machte, dass ganz aktuell eine Neufassung des WTPG-Gesetzes vorbereitet wird.